Teil 6: Jordanien

  

Jordanien Jordanien Jordanien

 
Nabatäer und Beduinen - Jordanien

  
Samstag, 09.01.93

Unser erster Tag in Jordanien beginnt wieder einmal mit langem Warten. Erst nachdem alle LKW rückwärts aus der Fähre manövriert sind, werden die PKW aus dem unteren Deck mit dem Aufzug einzeln heraufgeholt. Es kommt immer wieder vor, daß ein Fahrer fehlt oder daß es wieder Zeit für eine Teepause ist. Insgesamt dauert es vier Stunden, und wir können das Schiff erst als viertletztes Fahrzeug verlassen. Im Gebäude der Grenzabfertigung ist es menschenleer und die Bank ist noch - oder schon wieder - geschlossen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Visa abstempeln zu lassen und erneut zu warten, bis die Bank öffnet.
Das jordanische Geldsystem ist verwirrend: ein Dinar sind zehn Dirham oder hundert Gersch oder tausend Fils. Oft bezeichnen die Jordanier aber zehn Fils auch als einen Piaster, so erklärt es uns ein Mann neben dem Bankschalter. Jetzt können wir endlich die Autohaftpflichtversicherung bezahlen, aber im Zollbüro dürfen wir erneut warten. Um uns wach zu halten, trinken wir die volle Thermoskanne Tee der eifrig telefonierenden Beamten leer. "Faddal", "bitte sehr", hatten sie uns ja freundlich aufgefordert. Die vorübergehende Einfuhr des Bullis soll 61 Dinar kosten, das sind über 150 DM. Angeblich ist diese Gebühr so hoch, weil es ein Dieselfahrzeug ist, Benziner kosten nur sechs Dinar. Zum Herunterhandeln fühlen wir uns zu müde. Immerhin gehen die Formalitäten schnell, weil wir unser Carnet de Passages vorlegen. Es ist zwar für Jordanien nicht unbedingt notwendig, spart aber Zeit und weitere Gebühren.
Als wir fertig sind, möchten wir nur noch schlafen. 12 Kilometer südlich von Aqaba, kurz vor der Grenze zu Saudi-Arabien, liegt das "National Tourist Camp" einsam am Strand. Ein alter Mann begrüßt uns überschwenglich mit "Ahlan wa sahlan, ahlan wa sahlan, willkommen! Suchen Sie sich einen schönen Platz aus, Sie haben den Strand ganz für sich alleine! Dort oben sind die Waschhäuser, es kostet nur 500 Fils die Nacht. Übrigens, mein Name ist Suleyman." Wir staunen über seine Deutschkenntnisse, und Suleyman erzählt stolz, daß er über zehn Jahre bei einer deutschen Baufirma in Saudi-Arabien gearbeitet hat. Er lädt uns für später zum Tee ein, und dieser Besuch ist auch das Einzige, was wir außer Schlafen heute noch tun.

Eigentlich wollen wir am nächsten Tag schon weiterfahren, aber wir bekommen Gesellschaft in Form eines deutschen Ehepaares und ihren drei Windhunden. Die fünf waren mit ihrem als Wohnmobil ausgebauten Land Cruiser schon in der ganzen Welt unterwegs und kommen jetzt gerade aus Saudi-Arabien. Vor unserer Abreise hatten auch wir Transitvisa für Saudi-Arabien beantragt, um so über Land in den Jemen fahren zu können. Aber als Nichtmuslim ist es ohne gute Geschäftsbeziehungen beinahe unmöglich, ein Visum zu bekommen. Der Mann, ein Architekt, hat ein Stellenangebot von einem saudiarabischen Architektenbüro erhalten - folglich auch eine Einladung und ein Visum. Wir tauschen stundenlang Reisegeschichten aus und verschieben schließlich unsere Weiterfahrt auf den nächsten Tag.
Jeden Tag verlängern wir unseren Aufenthalt, so daß wir insgesamt eine ganze Woche auf dem Campingplatz bleiben. Es sind Tage zum Faulenzen. Die größte Aktion ist es, alle paar Tage zum Einkaufen in die Stadt zu fahren. Aqaba ist ein moderner Ort, in dem wohlhabende Jordanier und Europäer ihren Bade-, Schnorchel- oder Tauchurlaub verbringen. Am Strand reiht sich ein Luxushotel an das andere, die alle einen eingezäunten Privatstrand haben. In den 50er Jahren lebten gerade mal 3000 Menschen in dem Fischerdorf, heute wollen 50 000 am raschen wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben, den Tourismus und Handel bringen. Durch Aqabas Lage mit Zugang zum Suez-Kanal und über das Rote Meer zu den Küsten der Arabischen Halbinsel sowie nach Ostafrika und Fernost hat die Stadt beste Seehandelsverbindungen. Über den Tiefwasserhafen findet der größte Teil des jordanischen Warenumschlages statt, dabei besteht die jordanische Handelsflotte selber nur aus vier Frachtschiffen. Es werden mehr Waren importiert als exportiert, wertmäßig werden die Einfuhren nur zu einem Drittel durch die Ausfuhren gedeckt. Wichtigste Importgüter sind Nahrungsmittel, Maschinenbauteile, Fahrzeuge und Erdölerzeugnisse. Phosphat ist Jordaniens wichtigstes Exportgut, das hauptsächlich in die EG verschifft wird.

Die Abende verbringen wir meistens bei Suleyman. Er brüht seinen schwarzen Tee stets mit einigen Blättchen "Myramia", wildem Salbei, auf. Das schmeckt zwar etwas streng, aber dadurch, daß der Tee zur Hälfte aus Zucker besteht, gleicht es sich wieder aus. An den Gasheizofen, um den wir sitzen, gesellen sich auch oft die Polizisten, die den Strand vor Schmugglern bewachen sollen. Sie wärmen sich etwas auf und amüsieren sich mit uns über die vielen ägyptischen Spielfilme und Seifenopern im Fernsehen. Sie sind Meisterwerke des ungewollten Humors, eine Art Dallas-made-in-Egypt Verschnitt, deren Inhalte sich meist um (hysterische) Frauen und um Gewalt drehen. Die Handlung ist stets so einfach aufgebaut, die Rollen werden so klischeehaft und übertrieben dargestellt und die Produktion ist augenscheinlich so billig und laienhaft, daß selbst wir Ausländer vieles verstehen und unseren Spaß daran haben.
Abends kommen auch die Saudiaraber ins Land. In Aqaba kaufen sie sich in dazu lizensierten Läden Alkohol - möglichst hochprozentig - und betrinken sich anschließend hier auf dem Campingplatz. Wenn die Flaschen geleert sind, fahren sie ihre teuren Jeeps in Schlangenlinien in Richtung Mekka und hinter der Grenze häufen sich die Autowracks. In Aqaba verdienen Prostituierte dank der reichen Gaben von so manchem abtrünnigem Grenzgänger besonders gut. In Saudi-Arabien wäre ein solches Verhalten nicht möglich. Es herrschen strenge, am Qur'an, der Sharia und den Traditionen orientierte Moral- und Glaubensgrundsätze. Der Alkoholverkauf ist verboten, und auch der Genuß wird bestraft. Bei der Einreise kann selbst alkoholhaltiges Parfüm beanstandet werden. Frauen dürfen sich nicht unverschleiert in der Öffentlichkeit zeigen, geschweige denn selber Auto fahren. Ladenbesitzer haben ihre Geschäfte während der Gebetszeiten zu schließen. Über alles wacht eine Religionspolizei, die Verstöße umgehend ahndet.

Jordanien Jordanien Jordanien

Samstag, 16.01.93
Der Abschied von allen ist sehr herzlich, besonders von Suleyman, dem wir mindestens zehn Mal versprechen müssen, aus Deutschland zu schreiben (was wir, wenn auch spät, eingehalten haben).
Das Wadi Rum ist unser heutiges Ziel. Auf dem "Desert Highway", der Jordanien von Nord nach Süd durchquert, schlängeln wir uns durch die rotbraun leuchtenden Granitberge, und nach knapp 50 Kilometern erreichen wir die Abzweigung in das Wadi Rum. Die Straße wird einspurig und hat viele Furten - unvorstellbar, daß diese trockene Landschaft nach Regenfällen von Flüssen durchzogen sein kann.
Kurz vor dem Ort Rum haben einige Beduinen zu Fuße eines mächtigen Bergmassivs ihre schwarzen Wollzelte aufgeschlagen. Der Großteil der Rum Bewohner gehört zu dem Stamm der "Howeitat". Sie führen ihre Abstammung auf Muhammads Tochter Fatima zurück und gelten als besonders ehrbar und stolz. Im Ort wohnen die Beduinen seit Anfang der 80er Jahre in flachen, braungrauen Steinhäusern, die ihnen die Regierung gestiftet hat. Daneben gibt es eine Moschee, ein paar kleine Läden, ein Resthouse mit Campingplatz und Restaurant, ein 1936 erbautes Fort der auf Kamelen berittenen "Desert Camel Corps", eine vom Militär finanzierte Grundschule und mindestens zehn wilde Müllkippen. Trotzdem ist die Natur hier das Sehenswerte, auch wenn deren Vermarktung in vollem Gange ist. Busgruppen und Jeepkonvois wechseln sich mit dem Bestaunen der Landschaft ab. Die Beduinen vermieten ihre Jeeps und Kamele und das Preisniveau ist, verglichen zu anderen arabischen Ländern, sehr hoch. In den Bergen gibt es einige versteckt liegende Zeltcamps, wo man diese Landschaft noch relativ ungestört und naturnah erleben kann - eine Karte mit Informationen hängt im Resthouse.
Als wir zu Fuß nach Süden losspazieren, ziehen wir unsere dicken Winterjacken über. Zwar scheint die Sonne, aber der Wind ist eisig kalt. Das Tal zwischen den beiden jeweils über 1700 Meter hohen Bergmassiven Djebel Rum und Djebel Umm Ishrin ist weitläufig. Der Berg Umm Ishrin, übersetzt "Mutter der 20", erhielt seinen Namen nachdem 20 Beduinen bei einem Unwetter in einer Schlucht ertrunken sind.
Vor 30 Millionen Jahren trennte eine gewaltige geologische Verwerfung eine zusammenhängende Gesteinsmasse und schuf dadurch das Jordantal und den Golf von Aqaba. Die Erosion hat im Laufe der Jahrmillionen das Übrige zur Gestaltung dieser Granit- und Sandsteinlandschaft getan. Bis zum Anbruch der Dunkelheit wandern wir durch das Tal, durch das einst auch der berühmte Lawrence von Arabien geritten ist. Der Engländer T. E. Lawrence, der als "Lawrence von Arabien" zu legendärem Ruhm kam, kämpfte im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Araber gegen die Türken. Große Teile des monumentalen Films über diesen Kampf wurden hier im Wadi Rum gedreht.
Die Arabische Halbinsel und der Nahe Osten waren zu Beginn dieses Jahrhunderts von den Türken besetzt und die Engländer hatten lediglich Aden im Südjemen als Stützpunkt. Im Ersten Weltkrieg standen sich Großbritannien und die Türkei, die mit Deutschland verbündet war, als Feinde gegenüber. Die Briten versprachen den Arabern als Gegenleistung für ihre Hilfe gegen die Türken ein Großarabisches Reich, das fast die gesamte Halbinsel sowie Syrien und den Irak umfassen sollte. Daraufhin breitete sich der arabische Aufstand von Mekka in Richtung Norden aus. Nach Aqaba wurde auch Jerusalem und schließlich Damaskus erobert. Lawrence war einer der Führer dieses Aufstandes, und auch er sicherte den Arabern ein geeintes Arabien zu. Er wußte jedoch schon sehr genau, daß es dazu nicht kommen würde, denn schon 1916 hatten England und Frankreich das nach den Unterhändlern benannte Sykes-Picot-Abkommen geschlossen. In ihm wurde die Aufteilung Arabiens unter den beiden Staaten festgelegt. Frankreich sollte den heutigen Libanon, Syrien und den Nordirak erhalten; die Briten Palästina, den Südirak und die Schutzherrschaft über die Scheichtümer am Golf. Als der Erste Weltkrieg mit der Niederlage und dem Rückzug der Türken endete, war von einem Großarabischen Reich nur noch kurz die Rede. Wenig später besetzten die Siegermächte die Gebiete, so wie sie es zuvor unter sich ausgehandelt hatten, und der Völkerbund gab seinen Segen dazu. Bei den Arabern blieb ein tiefes Mißtrauen gegenüber dem Westen zurück.
Das heutige Gebiet Jordaniens und Israels wurde britisches Mandatsgebiet, das entlang des Jordans in Transjordanien und Palästina geteilt wurde. 1946 wurde Transjordanien unabhängiges Königreich, aber im Westjordanland häuften sich die Auseinandersetzungen zwischen Juden und Arabern. Die UNO wollte daraufhin dieses Gebiet in einen jüdischen und einen arabischen Staat teilen. Die Israelis kamen diesem Teilungsplan jedoch zuvor und riefen den Staat Israel auf dem gesamten Gebiet aus. Die arabischen Staaten reagierten mit einem gemeinsamen Angriff, aber als es nach zehnmonatigen Kämpfen zu einem Waffenstillstand kam, war das israelische Gebiet noch immer größer als im Teilungsplan vorgesehen.
Transjordanien vereinigte sich mit dem arabischen Gebiet westlich des Jordans und nennt sich seit 1950 "Haschemitisches Königreich von Jordanien". Es ist das einzige Land, das den vertriebenen Palästinensern die Staatsbürgerschaft zuerkennt. Sie stellen mit etwa sechzig Prozent sogar die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung und bilden eine Art Staat im Staate. Die anhaltenden Machtkämpfe mit dem seit 1953 regierenden König Hussein steigerten sich zu einem Bürgerkrieg. Im "schwarzen September" 1970 kam es zu offenen Kämpfen mit über 25 000 Toten, die erst endeten, als die USA drohten, sich zugunsten des Königs einzumischen.
Die PLO fordert einen eigenen souveränen Staat, der auf dem Gebiet der Westbank entstehen könnte, da der jordanische König Hussein inzwischen alle Ansprüche auf dieses Territorium an die Palästinenser abgetreten hat. Hussein ist seit über vierzig Jahren im Amt. Trotz des vorhandenen Parlamentes hat er eine übermächtige Stellung im Land, bereitet jedoch für das Ende seiner Regierungszeit demokratische Reformen vor. In Geheimverhandlungen hat er sich schon weitestgehend mit Israel auf einen Frieden geeinigt, aber ein offizieller Vertrag ist erst dann möglich, wenn auch die Frage des palästinensischen Staates geklärt ist.

Sonntag 17.01.93
Seit über fünf Jahren träumen wir schon davon, die sagenumwobene Nabatäerstadt Petra zu sehen - jetzt trennen uns nur noch 120 Kilometer und ein paar Stunden Fahrt von ihr. Aber erstmal gehen wir der einzigen Radarfalle der letzten 13 000 Kilometer in die Falle. Zwei Polizisten stoppen uns und erklären mit strengem Blick, daß hier eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gelte und daß wir diese überschritten hätten. Dann grinsen sie sich an und wünschen uns mit dem allgegenwärtigem "Ahlan wa sahlan" eine gute Weiterfahrt, da wir nur fünf km/h zu schnell gewesen sind. Wir dachten schon, daß sie uns um ein wenig Bakshish als Aufbesserung für ihren mageren Beamtenlohn erleichtern wollen, aber so etwas ist uns entgegen vieler Gerüchte noch nie passiert.
Auf dem Desert Highway sind viele langsame LKW unterwegs, die mit ihren gegenseitigen Überholmanövern oft die gesamte Straßenbreite blockieren. Für einige Kilometer verbreitert sich die Straße auf acht Spuren - sie soll im Notfall als Landebahn für Flugzeuge dienen - wird aber als eine Renn- und Überholstrecke für LKW genutzt. Bei Ras an-Naqab zweigen wir auf die alte Trasse ab. Sie führt zu einem 1573 Meter hohen Paß mit einer schönen Aussicht bis zum Meer, wenn es nicht gerade so diesig wie heute ist. Der Wind ist kalt und stellenweise liegt etwas Schnee. Wenige Kilometer weiter fahren wir auf die sogenannte "Kingsroad". Sie folgt einer alten transjordanischen Handelsroute von Aqaba nach Damaskus und wird schon in den Büchern Moses erwähnt. Unter den Römern wurde sie ab 100 n. Chr. gepflastert, aber ihr glorreicher Name widerspricht dem heutigen Straßenzustand. Die Straße schlängelt sich bis auf 1600 Meter Höhe durch karges Hügelland, auf dessen Feldern eine dünne Schneedecke liegt. Diese Bergketten schließen sich im Westen an den fruchtbaren Grabenbruch des Jordantals an, die restlichen 80 Prozent Jordaniens bestehen aus wasserlosen und fast unfruchtbaren Wüstenflächen.
Wenige Kilometer vor dem Ortseingang von "Wadi Musa", dem Ort am Rande des alten Petra, bietet sich uns ein spektakulärer Blick über den gesamten Talkessel. Deutlich können wir den "Siq" erkennen, die Schlucht, durch die man die Felsenstadt erreicht. Ihrer einzigartigen Architektur mit in den Fels geschlagenen Gräbern und Tempeln verdankt Petra, lateinisch "die Felsige", ihren Namen. Die Nabatäer nannten die Hauptstadt ihres Reiches "Recem".
Am Eingang zu der alten Nabatäersiedlung, am sogenannten "Visitor's Center", gibt es leider keine billige Schlafmöglichkeit und große "No camping" Schilder auf dem Besucherparkplatz schrecken uns davor ab, im Auto zu übernachten. Die Mitarbeiterin der dortigen Tourist-Information rät uns, ins Oberdorf zu fahren, weil es dort einfachere und preisgünstigere Hotels gäbe. Am nördlichen Ortsausgang steht zunächst das "Alanbat Student House" und etwas weiter das "Musa Spring Hotel". Dort dürfen wir auf dem Parkplatz schlafen und brauchen nur für das Duschen zu bezahlen. Unter einem Kuppelbau neben dem Hotel entspringt eine Quelle. Es ist die Mosesquelle, "Ain Musa", die der Legende nach dadurch entstand, daß Moses Wasser aus einem Felsen schlug. Das Wasser quillt tatsächlich unter einem Stein hervor und sammelt sich in einem Becken. Es ist eiskalt und glasklar, so daß wir unsere Kanister mit ihm auffüllen.
Den Abend verbringen wir zusammen mit anderen Gästen am wärmenden Kohleofen im Gemeinschaftsraum des Hotels. Draußen sind es unter null Grad - immerhin sind wir auf über 1200 Meter Höhe - da müßte die Standheizung des Bullis lange laufen, um ein wenig einzuheizen. Alle berichten begeistert von Petra. Ein vom selbstgemixtem Grog leicht betrunkener deutscher Reiseleiter erzählt von den gesellschaftlichen Besonderheiten der legendären Nabatäer und ihres Karawanenreiches. Er gibt uns im Laufe des Abends einen Überblick über die gesamte Geschichte des Volkes, die damit begann, daß die Nabatäer vor knapp 2500 Jahren als Nomaden in Zelten lebten. Sie hielten sich Kamele, Ziegen und Schafe, kannten die wenigen Wasserstellen der Wüste und betrieben keinerlei Landwirtschaft. Sie lebten vom Tauschhandel mit Weihrauch, Myrrhe und anderen Gewürzen aus Südarabien oder von Raubzügen in benachbarte Gebiete. Das erste Datum, an dem die Nabatäer in der Geschichtsschreibung erscheinen, ist das Jahr 312 v. Chr. als der Grieche Antigonos zweimal seine Truppen gegen sie schickte und besiegt wurde. Im dritten Jahrhundert vor Christus stritten sich die Ptolemäer (griechische Dynastie in Ägypten) mit den Seleukiden (griechische Dynastie in Vorderasien) um die Vorherrschaft im griechischen Reich. Das Ptolemäerreich konnte seinen Machtbereich ausweiten, aber im Ostjordanland hatte die Herrschaft eher nominellen Charakter. Das Gebiet der Nabatäer lag genau an der Grenze zwischen den beiden Großreichen, dadurch konnten die Nabatäer ihre Handelsmacht dort weiter stabilisieren. Im zweiten Jahrhundert v. Chr. änderten sie ihre Lebensweise. Sie betrieben neben der Viehzucht vereinzelt auch Acker- und Gartenbau, gründeten erste Siedlungen und prägten ihre eigenen Münzen als Zahlungsmittel. Sie entwickelten ihr eigenes Geld- und Zollsystem sowie eine eigene, auf dem Aramäischen beruhende und durch arabische Ausdrücke angereicherte Sprache. Die einst beduinische Stammesorganisation hatte sich zu einem Königreich gewandelt. Ihr Reich hatte keine festen Grenzen, eher Einflußgebiete wie die Weihrauchstraße vom Südjemen in den Mittelmeerraum und nach Gaza, oder die Straße der Könige nach Damaskus und zeitweise weiter nach Bagdad. Die Nabatäer sicherten diese Handelswege und deren Brunnen, indem sie Wach- und Handelsstationen errichteten. Die vorbeiziehenden Karawanen mußten dafür Schutzgelder zahlen.
Die Römer hatten inzwischen Teile des Seleukidenreiches erobert, jedoch konnten die Nabatäer sich ihre Unabhängigkeit noch durch Tributzahlungen erkaufen. 50 Jahre lang regierte König Aretas IV., in dessen Regierungszeit die meisten der Bauten im alten Stadtkern errichtet wurden. Nach seinem Tod 40 n. Chr. begann der Niedergang des Reiches. Dazu trugen auch die Bemühungen der Römer bei, die Waren zunehmend mit Schiffen und nicht auf dem Landweg zu befördern. Stärkerer Schiffsverkehr auf dem Nil, verbesserte Navigationstechnik, neueres Wissen über die Seewinde und die enorm verteuerten Schutzabgaben an die Araber waren die Ursachen dafür, daß der Handelsfluß auf den Landwegen, besonders auf der Weihrauchstraße, immer geringer wurde. Aus dem Karawanenhandel war daher in vielen Gebieten der Lebensunterhalt der Nomaden nicht mehr zu bestreiten, so daß sich viele fest ansiedelten und Landwirtschaft zu betreiben begannen.
Nach dem Tod des Nabatäerkönigs Rabel II. im Jahr 106 n. Chr. ernannte der römische Stadthalter in Syrien Nabatäa zur römischen Provinz. Die Römer errichteten ab diesem Zeitpunkt ihre Baudenkmäler in Petra. Als später das syrische Bosra zur Hauptstadt und Palmyra zum wichtigsten Handelsstützpunkt der römischen Provincia Arabia wurde, geriet Petra immer mehr ins Abseits. Noch schlimmer als der Verlust der politischen Autonomie war dabei der Verlust der religiösen und ethnischen Identität der Nabatäer. Dabei verehrten die Nabatäer auch fremde Götter, wie den hellinistischen Fruchtbarkeitsgott Dionysos und altarabische, vorislamische Gottheiten, wie "Shai al-Qaum", den Beschützer der Wüstenreisenden. Der Hauptgott der Nabatäer hieß "Dhushara", was übersetzt "Herr des Shara", einem Gebirgszug im Reich Edom, heißt. Er wurde, wie auch die Götter anderer vorislamischer Stämme, in Steinen symbolisiert. Seit der Mitte des dritten Jahrhunderts gilt die nabatäische Kultur als erloschen, das letzte Lebenszeichen ist eine Inschrift aus dem Jahr 328.
365 zerstörte ein starkes Erdbeben die Stadt, und die letzten Nabatäer verließen sie. Nach weiteren schweren Erdbeben im achten Jahrhundert geriet Petra endgültig in Vergessenheit. Bis 1812 kannten nur Beduinen die Felsenstadt, dann entdeckte der Schweizer Orientalist J. L. Burckhardt sie für Archäologen und Touristen wieder.

Jordanien  Jordanien  Jordanien

Am nächsten Morgen starten wir unseren ersten Besuch von Petra am Visitor's Center, dem einzigen offiziellen Eingang. Er ist daher mit Parkplätzen und Taxis, einer Tourist-Information, einer Bank und Post, kleinen Souvenirständen und dem teuren Resthouse am "Bab as-Siq", dem "Tor zum Siq", ausgestattet. Südlich der Ticketbude, im Flußbett des trockenen Musa-Flusses, bieten zahlreiche Dorfbewohner ihre Pferde zum Reiten an. Hier steht auch eine Klinik, in der verletzte Pferde, Esel und Kamele der Beduinen rund um die Uhr gratis behandelt werden. Auf dem Weg fragt uns alle paar Meter ein anderer reitender Beduine, ob er uns nicht auf seinem braven Vierbeiner nach "Betra", wie er Petra auf arabisch ausspricht, führen soll. "Insha'allah bukra", "vielleicht morgen" verneinen wir. Als nächstes folgt die Strategie "Frau aufs Pferd locken - no money". Und natürlich kann man sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, Frau durch zärtliches Stemmen am Hintern in den Sattel zu helfen. Aber daß Frau auch reiten kann, erwarten sie wohl nicht - sie sind stets erstaunt, als Kirstin ohne Zögern jedes Angebot annimmt, sich selbständig flink in den Sattel schwingt und aus dem Stand losgaloppiert.
Nach einem Kilometer und fünf Gratisritten tauchen neben dem Weg große Steinblockgräber, Treppengräber und ein in den Fels gemeißeltes Obeliskengrab auf. Die Nabatäer glaubten an ein Leben nach dem Tod, fast alle Kultstätten in Petra dienten diesem Glauben. Je nach Stellung der Verstorbenen wurden die Gräber unterschiedlich gestaltet und mit kostbaren Totengaben versehen. In "Speiseräumen", sogenannten "Triklinien", fanden Totenmahlzeiten statt, so auch im "Bab as-Siq Triklinium" beim Obeliskengrab.
Wenige Meter weiter kommen wir an den Eingang des Siq. Die senkrechten rotbraunen Felswände sind fast hundert Meter hoch, was ihn wie einen Hohlweg erscheinen läßt. Kaum ein Sonnenstrahl hat hier je den Boden berührt, daher ist die Atmosphäre trotz der Schönheit der Schlucht irgendwie beklemmend. Obwohl der Siq dem Verlauf des Musa-Baches folgt und seine Wände vom Wasser abgeschliffen sind, ist er nicht durch die Fließkraft des Wassers entstanden, sondern durch eine tektonische Verwerfung. Zu nabatäischer Zeit verlief hier der Hauptweg - aber nicht der einzige Weg - in die antike Stadt. Die Nabatäer meißelten eine Wasserleitung in die Felswand und pflasterten den Boden mit Kalksteinplatten, beides ist stellenweise noch erhalten. In den Felswänden erkennen wir auch verwitterte "Betylen", eingemeißelte Götternischen mit Inschriften. Nach fast zwei Kilometern verengt sich der Siq auf zwei Meter Breite. Durch den Spalt tauchen erste Konturen des Felsenbauwerks "Khazne al-Fara'un" auf. Im Kontrast zum dunklen Siq wird er von der Sonne angestrahlt und blendet uns mit seinem grellen Rotorange. Er ist das wohl schönste und bekannteste Bauwerk Petras.
Die zweistöckige Fassade ist 40 Meter hoch und 25 Meter breit. In der dreieinhalb Meter hohen Urne auf dem Dach soll nach Beduinenglauben ein Schatz enthalten sein. Der Khazne ist vollständig aus der Felswand herausgemeißelt und in Aussparungen an den Seiten sind Befestigungspunkte eines Baugerüstes zu erkennen. Nach dem Ausloten der Fallinien legten die Steinmetze die groben Konturen fest. Dann meißelten sie den Felsen mit Spitzeisen von oben nach unten heraus, wobei der weiche Sandstein diese Technik erleichterte. Am schwierigsten waren freistehende Bauelemente wie Säulen. Die zwei mittleren der sechs Säulen des Khasne stehen als Monolithen frei, während die seitlichen Säulenpaare mit der Felsenrückwand verbunden sind. Das Ganze ist so geschickt gemacht, daß man den Eindruck gewinnt, alle wären freistehend. Wie bei vielen nabatäischen Bauwerken ist auch die Datierung und der Zweck des Khasne umstritten. Neuste Forschungen haben sich darauf geeinigt, das Gebäude als einen Grabtempel eines nabatäischen Königs aus der Zeit um die Zeitwende anzusehen. Es ist somit nicht, wie wörtlich übersetzt, ein "Schatzhaus des Pharao". Über die Stufen des mächtigen Eingangportals steigen wir in den Innenraum, der in die Felswand hinein ausgehöhlt ist. Vorraum, Hauptraum und zwei Nebenräume sind im Kontrast zu der prunkvollen Außenfassade schmucklos und leer.
In der gegenüberstehenden Felswand befindet sich in etwa 20 Meter Höhe ein relativ bequem zu erkletternder Vorsprung, der zu unserem Lieblingsplatz in Petra wird. Hier kann man in der Mittagssonne sitzen, den Khazne bewundern und das geruhsame Treiben auf dem Platz davor beobachten. Zur Zeit bereisen wegen den Nachwirkungen der Kuwait-Krise und den Anschlägen in Ägypten nur relativ wenige Touristen Jordanien. Petra ist die Hauptattraktion auf ihrem Tourprogramm von Nord nach Süd, aber dennoch ist oft nur ein halber Tag eingeplant. Manche Gruppen kehren am Khazne schon um, andere steigen hier auf ein Pferd oder Kamel und lassen sich weiter ins alte Stadtzentrum führen. Von der berühmt-berüchtigten arabischen Geschäftstüchtigkeit merken wir in Petra nicht viel. Gesellig beisammenzusitzen und sich beim Tee über Gott und die Welt zu unterhalten, scheint den Beduinen hier wichtiger zu sein, als Touristen zu Geschäften zu überreden.
Einige Meter weiter beginnt der sogenannte "Äußere Siq". Er ist breiter als der eigentliche Siq und seine Wände sind nicht mehr so mächtig. Am Anfang befindet sich auf der rechten Seite das größte Triklinium der Stadt. Es folgen zahlreiche Gräber mit großen verzierten Fassaden, sie bilden die "Theaternekropole", den ältesten Begräbnisplatz in Petra. Das Theater schließt sich diesem "Friedhof" auf der linken Seite an. Seine Bühne, die seitlichen Gewölbegänge und die 40 Zuschauersitzreihen wurden ebenfalls komplett aus dem Fels geschlagen. 7000 bis 8000 Zuschauer konnten sich die Aufführungen ansehen. Das Theater entstand um die Zeitwende, später nutzten es die Römer. Bei einem Versuch, es um einen Rang nach hinten auszuweiten, stieß man auf Grabhöhlen aus der Zeit vor dem Bau des Theaters. Diese integrierten "Ehrenlogen" verleihen ihm ein etwas makaberes Gesicht.
Der Siq ist zu Ende und das Wadi Musa wandelt sich wieder zu einem weiten Flußtal. Die meisten der unzähligen Höhlen in den Bergen links und rechts dienten mit einem in den Boden geschlagenem Senkgrab als Grabstätte. Viele Gräber sind offen und der Steindeckel fehlt. Nur wenige Höhlen wurden von den Nabatäern zum Wohnen benutzt. Heute sind einige als Teestube eingerichtet, andere dienen als Ställe. Bis vor wenigen Jahren wohnten noch 200 Beduinenfamilien in den Höhlen Petras, aber wegen der Touristen siedelte sie die Regierung 1985 um. Ein Kamelführer erzählt uns, daß auch ihm und seiner Familie ein neues Haus außerhalb Petras zugewiesen wurde. Er hat jedoch die Tür abgeschlossen und den Strom abgestellt. Sie ziehen das Nomadenleben im Felsenkessel von Petra vor - wie immer mehr andere auch. Es ist schade, daß wegen uns Touristen die Beduinen gegen ihren Willen umgesiedelt und ihrer Lebensweise entwurzelt werden. Sie würden unserer Meinung nach Petra eher bereichern als stören.
Als nächstes erreichen wir die vier größten Gräber Petras: das Urnengrab, das Korinthische Grab, das Palastgrab und das Grab des Sixtus Florentinus. Sie sind auf der westlichen Seite des al-Khubtha Bergmassivs, in der sogenannten "Königswand", eingemeißelt. Tatsächlich wurden in drei der Mausoleen nabatäische Könige beerdigt. Das nördlichste Grab dagegen ist das eines römischen Statthalters, das erst um das Jahr 130 entstand. Obwohl nabatäische Baumeister versuchten, die Erosion durch die Anlage von Windmauern einzuschränken, sind die einst so prunkvoll gestalteten Fassaden heute stark verfallen. Im Inneren sind sie wie alles in Petra kahl und leer. Zum Staunen bringen uns die wunderschönen bunt marmorierten Sandsteinwände. Leider sind sie nur an wenigen geschützten Stellen, an denen die Sonne sie nicht ausbleichen kann, so farbig.
Im Nordwesten dehnt sich ein weiter Talkessel aus. Um das Wadi Musa und die gepflasterte Hauptstraße lag hier einst das Stadtzentrum von Petra. Beiderseits standen öffentliche Bauten, links der Marktplatz und die Badethermen, rechts eine großzügige Brunnenanlage und ein Tempel. Daran schlossen sich weniger prunkvolle Wohnviertel aus Stein- und Lehmziegeln an. An einem dreiteiligen Triumphbogen aus der Römerzeit beginnt der heilige Bezirk der Nabatäer. Hier steht auch der renovierte "Qasr al-Bint Fara'un", der "Palast der Pharaonentochter". Diesen Namen gaben die Beduinen dem einstigen Haupttempel Petras. Er war dem Hauptgott Dhushara geweiht und ist trotz seines Verfalls das am besten erhaltene gemauerte nabatäische Bauwerk. Nach Norden schützte eine Stadtmauer das Zentrum vor Überfällen. Im Osten bot der Siq beste Verteidigungsmöglichkeiten und ansonsten schützten abweisende Felsmassive. Heute kann man hier in einem staatlichen Restaurant essen, eine herrlich marmorierte und als kleines Museum umgestaltete Wohnhöhle besichtigen oder einfach den Gedanken an die einstige Pracht und Größe Petras und der Nabatäer nachhängen. Wir fragen uns, was eigentlich das Schönste hier ist: Die Relikte der nabatäischen Kultur? Die atemberaubende Landschaft? Die bunten Sandsteingemälde? Die Freundlichkeit der Beduinen? Das Geheimnis von Petra liegt wohl im ausgewogenen Zusammenspiel aller dieser Aspekte.
Neben dieser "Standardroute" gibt es in Petra aber noch wesentlich mehr zu besichtigen. Wir erkunden immer wieder neue Ziele.
Das erste ist der Djebel ad-Deir. Vom alten Stadtzentrum aus führt ein Treppenweg mit über 800 Stufen durch die wilde Bergwelt mit ihren zahlreichen Schluchten. Beim schweißtreibenden Aufstieg kommen wir an zahlreichen Gräbern, Triklinien, Kultnischen, Opferplätzen und Betylen vorbei. Auf dem Gipfel steht ein weiteres grandioses Bauwerk: der ad-Deir Tempel. Seine 40 Meter hohe und 47 Meter breite Felsfassade ist von der Nachmittagssonne in ein besonders schönes Licht getaucht. Der Tempel ist genauso gut erhalten wie der Khazne, aber er ist mächtiger und strahlt im Gegensatz zum fast zierlich wirkenden Khasne eine erhabene Kraft aus. Der ad-Deir wurde von den Nabatäern nicht als Mausoleum, sondern als Tempel genutzt. Ob allerdings zur Verehrung der Ahnen oder der Götter ist ungewiß. Die Urne auf dem Dach ist neun Meter hoch. Uns fällt vor Schreck fast der Fotoapparat aus der Hand, als wir sehen, wie jemand unter der Urne hergeht, sich am äußersten Fassadenrand festhält und hinunter hängen läßt. Es sind einheimische Jungen, die sich einen Spaß erlauben - einen nicht ganz ungefährlichen. Dann beginnen sie, laut zu rufen, daß sie auch ja jeder sieht. Nach einiger Zeit sehen wir, wie sie auf der linken Seite des Tempels den Berg herunter kommen. Kurz entschlossen klettern wir hinauf. Oben angekommen, gehen wir auf dem geraden Dach zur Urne und testen, wie schwindelfrei wir wirklich sind. Die Beine über den Rand baumelnd, sehen wir 40 Meter an der Fassade nach unten. Es bedarf unserer ganzen Courage, nicht direkt einige Schritte nach hinten zu kriechen - aber nach ein paar Minuten mit Pulsschlag 130 können wir die Aussicht über den gesamten Talkessel genießen.
Zu den Riten des nabatäischen Glaubens gehörte es auch, ihren Göttern Opfer darzubringen. Dazu legten sie Hochaltäre, zum Beispiel auf dem Berg "Zibb Atuf", an. Man kann ihn am einfachsten über einen Treppenweg erreichen, der hundert Meter südlich des Theaters beginnt. Auf dem Gipfel haben die Nabatäer einen rechteckigen Festplatz für Kultmahlzeiten angelegt. Im Westen schließt sich der Opferbezirk mit einem Opfertisch, einem runden Hochaltar und Rinnen, die für das Ablaufen des Blutes sorgen sollten, an. Den Göttern wurden unter Anleitung von Priestern Speise-, Schlacht-, Räucher- oder Blutopfer dargebracht. Ob auch Menschen geopfert wurden, ist nicht eindeutig erwiesen, aber diese These sorgt für ein gruseliges Schaudern, als wir den Opferplatz besichtigen.
Ein alternativer Weg in das alte Stadtzentrum führt vom Eingang des Siq durch einen Tunnel und zwei Wadis zur Königswand. Durch diese Wadis leiteten die Nabatäer die Wassermassen der Regenfälle ab. Dazu errichteten sie am Siqeingang einen Damm, der verhinderte, daß die Fluten durch den Siq strömten. Der Damm verfiel und 1963 starben 28 Touristen durch eine Flutwelle im Siq. Seit 1964 ist er wieder durch einen Damm nach altem Vorbild gesichert. Der Weg durch die Wadis führt durch enge Felsenschluchten. Hier erleben wir das wohl ungewöhnlichste Picknick unserer Reise: Zwei Beduinenjungen mit einer Schrotflinte braten sich auf einem Lagerfeuer vier geschossene Spatzen. Völlig selbstverständlich laden sie uns zum Mitessen ein. Lange dauert es nicht, bis die Vögel durchgebraten sind. Sie bestehen mehr aus Knochen und Schrot als aus Fleisch, aber die wenigen nicht verbrannten Stücke sind sogar ganz lecker.
Es dauert in Petra nie lange bis man uns - einfach so aus Gastfreundschaft - zum Tee einlädt. Wir haben immer einige Zweige Myramia dabei, was bei den Beduinen heiß begehrt ist. Wenn wir Glück haben, wird der Tee in Gläsern serviert - auch Konservendosen sind noch ganz in Ordnung - aber brühend heißen Tee aus abgesägten Plastikwasserflachen zu trinken, grenzt an ein Kunststück. Unser Arabisch ist inzwischen ganz passabel, so daß viele fragen, ob wir in Amman studieren. Wir lernen viele der Pferde- und Kamelführer kennen, andauernd schallt es "Merhaba Almanya" aus den Bergen. Einige der Pferdeboys warten fast jeden Abend auf uns. Nach einem kleinen Streit, auf wessen Pferd Kirstin zuerst reiten darf - der Diplomatie halber wird später gewechselt - geht es zurück zum Sammelplatz der Pferde an der Ticketbude. Nach einer Runde Fußball verabschieden wir uns bis zum nächsten Tag oder bis später im Musa-Café. Wir essen dort jeden Abend und jedesmal werden die Portionen größer und die Preise niedriger, bis wir am letzten Abend gar nichts zu bezahlen brauchen. Der Abschied von Petra und seinen Menschen fällt uns besonders schwer. Neun Tage sind wir hier und haben noch längst nicht alles entdeckt. Wieder einmal befällt uns Reisemelancholie: Man kratzt immer nur an der Oberfläche, Neugier oder Zeitdruck drängen zum Weiterfahren.

Montag, 25.01.93
Wir fahren auf der Kingsroad 30 Kilometer bis zu der Kreuzritterburg von Shobak. Sie wurde 1115 erbaut und steht auf einem kegelförmigen Berg einsam in der Landschaft. Mit anderen Burgen bildete sie eine Verteidigungslinie der Franken vom Roten zum Toten Meer.
Die Kreuzzüge stellten den Höhepunkt im Kampf der Christen gegen den Islam dar. Ihr Ziel war die "Befreiung" des Heiligen Landes und Jerusalems. Der erste Kreuzzug startete 1096, nachdem Papst Urban II. mit der Losung "Gott will es" die abendländischen Christen für die "Befreiung des Heiligen Landes, des Ursprungslandes des einzig wahren christlichen Glaubens" begeistern konnte. Die Christen machten sich eine eigentlich islamische Vorstellung zu eigen: Die Führung eines "Heiligen Krieges gegen die Heiden" - in ihren Augen die Muslime. Arabien war damals auf den Gebieten der Kunst, Kultur und Wissenschaft hoch entwickelt; Europa unter den herrschenden Feudalherren von ritterlicher Beutelust geplagt und von Hungersnöten bedroht. Es war im Mittelalter eher das, was man heute als "unterentwickelte dritte Welt" bezeichnen würde, Arabien dagegen die beneidete führende Nation. Ein weiterer Grund der Kreuzzüge war, daß die Fatamiden unter al-Hakim die Wallfahrten der Christen nach Jerusalem behinderten und Kirchen entweihten. Zu den politischen Voraussetzungen der Kreuzzüge gehörte der Verfall des Abbasidenreiches. Die folgende Uneinigkeit und Verfeindung der Muslime, den sunnitischen Seldshuken in Vorderasien und den schiitischen Fatamiden, half den Kreuzrittern bei ihren anfänglichen Eroberungen. 1099 erstürmten sie Jerusalem und richten ein grausames Blutbad an. Über 60 000 Einwohner - Zivilisten, Frauen und Kinder - wurden regelrecht abgeschlachtet, niedergemetzelt und enthauptet. Papst Urban hatte den Soldaten zuvor höchstpersönlich die Absolution von allen kommenden Sünden erteilt. 1171 beendete Saladin die Herrschaft der Fatamiden, gründete die Dynastie der Ayyubiden und wurde zum größten und stärksten Gegner der Kreuzritter. Sie verloren im zweiten bis fünften Kreuzzug fast alle Schlachten und mußten Jerusalem freigeben. Ziel des sechsten Kreuzzuges ab 1248 war die Eroberung Ägyptens. Aber das Heer unter Führung von Ludwig dem IX. geriet schon vor Kairo in die Gefangenschaft der dort inzwischen herrschenden Mameluken. Im siebten Kreuzzug verloren die Christen endgültig die letzten Gebiete an die Mameluken.
Insgesamt stellten die Kreuzzüge ein völlig fehlgeschlagenes Unternehmen dar. Einziger Erfolg waren gewisse Ausweitungen von Handelsbeziehungen und daß die abendländische Gesellschaft Ideen der islamischen Wissenschaft übernahm.
Leider verdirbt uns ein platter Reifen - Nummer drei dieser Reise - die Laune zu einer Besichtigung der Burg. Also wechseln und weiterfahren. Beim Tanken staunen wir über den niedrigen Dieselpreis: Ein Liter kostet 105 Fils, das sind 25 Pfennig, soviel wie ein Kilo Brot, ein halbes Kilo Tomaten oder ein Joghurt.
Nach weiteren 270 Kilometern vorbei an fruchtbaren Feldern bessert sich erst beim Anblick des Wadi al-Mudjib unsere Stimmung. Der vier Kilometer breite Einschnitt wird zu recht der "Grand Canyon" Jordaniens genannt. In unzähligen engen Serpentinen schraubt sich die Straße 500 Meter tief den Hang hinab. In einer Kehre finden wir auf einem kleinen Plateau einen besonders exponierten Schlafplatz.

Im schönsten Morgenlicht fahren wir die Straße weiter hinunter und schlängeln uns am anderen Hang wieder hinauf. 17 Kilometer Straße sind es von Oberkante zu Oberkante. Auf einer Aussichtsplattform genießen wir Landschaft und Frühstück, bevor es weiter nach Madaba geht. Am nördlichen Ortsausgang besichtigen wir in der St. Georgskirche die berühmte "Madaba Map". Es ist ein Mosaikbild aus ehemals über zwei Millionen Steinchen, das eine Landkarte Palästinas im Jahr 565 zeigt. Ursprünglich war das Mosaik 6 mal 15,5 Meter groß. Wir erkennen eine erstaunlich exakte Landschaftsgliederung vom Nil nach Nordpalästina und vom Mittelmeer zu den Bergen Ostjordaniens. Besonders faszinierend sind die kleinen Details: im Jordan schwimmen Fische und Boote, Brücken verbinden die Ufer, auf dem Toten Meer segeln Schiffe, eine Gazelle flieht vor einem Löwen. Die Orte sind in griechisch beschriftet. Jerusalem ist das Zentrum der Karte, seine Häuser und die Stadtmauer sind genau dargestellt. Die Karte hatte den Zweck, Pilgern zu zeigen, wie Moses das heilige Land vom Berg Nebo aus sah.
Kurz vor der Hauptstadt Amman biegen wir auf die Straße zum Toten Meer ab. Je tiefer wir kommen, desto heißer und stickiger wird die Luft. Das Tote Meer liegt 390 Meter unter dem Meeresspiegel, ist durchschnittlich 400 Meter tief, 80 Kilometer lang und 16 Kilometer breit. Es ist ein abflußloser See, dessen Wasserpegel sich nur durch Verdunstung reguliert. Sein Salzgehalt ist mit 31 Prozent zehnmal so hoch wie der des Mittelmeeres. Dadurch ist der Auftrieb so hoch, daß man nicht ertrinken kann und auf dem Wasser treibt. Schon die Nabatäer nutzten den Mineralgehalt: Sie verkauften die durch den Auftrieb angeschwemmten klebrigen und zähen Bitumenbrocken, einem Erdölbestandteil, als teures Einbalsamierungsmittel an die Ägypter. Das Salzwasser verspricht bei Rheuma und Hautkrankheiten Heilung, und auf israelischer Seite befinden sich zahlreiche Kurbetriebe. Das getrocknete Salz wird in die ganze Welt exportiert.
Hinter dem Ort Suweima am Nordende des Sees steht ein jordanisches Resthouse mit Restaurant, Vergnügungspark und den so wichtigen Süßwasserduschen. Schon auf dem Parkplatz vergeht uns die Lust auf etwas Auftrieb im Toten Meer. Alles ist mit Ausflugsmüll verdreckt, das Wasser stinkt ekeleregend und auf ihm glänzt ein bunter Ölfilm. Nein, einladend wirkt diese "Pökelbrühe" wirklich nicht.
Eine Weiterfahrt ganz in den Süden des Toten Meeres ist nicht möglich, da die Straße noch in Bau und das Ufer militärisches Sperrgebiet ist. Aber es ist angeblich erlaubt, die im Reiseführer beschriebenen heißen Quellen zu besuchen, die 20 Kilometer südlich von hier liegen. Einige Kilometer hinter dem Resthouse läßt uns der Militärposten gegen den Pfand unserer Pässe passieren. Die Landschaft ist überaus schön. Rechts das Tote Meer, links Palmenwald und viele Wadis, die ihr letztes Wasser in das Salzmeer fließen lassen. Auf der Straße joggt eine Kompanie Soldaten hinter ihrem Oberst her, und nach 17 Kilometern stoppt ein weiterer Posten die Idylle. Die Soldaten blicken uns böse an und schwenken mit ihren Gewehren wild in der Luft herum. "Mamnu, mamnu!", das ist eindeutig: "verboten, verboten!" - wir müssen umkehren. Der erste Posten ist erstaunt und meint, die Weiterfahrt wäre erlaubt - so etwas nennt man wohl mangelnde Militärkoordination. Das einzige, was uns noch einfällt, ist ein Sonnenbad auf einem Picknickplatz. Hier möchten wir auch übernachten, aber als wir kurz nach Anbruch der Dunkelheit glauben, jemanden um das Auto schleichen zu hören, beschließen wir, uns einen anderen Platz zu suchen. Auf der Straße stoppt uns wieder eine Militärkontrolle, die am Mittag noch nicht dort war. Die Soldaten sind verwundert, wo wir herkommen. Angeblich sei doch das ganze Gebiet abgesperrt und über Nacht total mamnu. Der mürrische Nachtwächter des Resthouses erlaubt uns auf dem - militärfreien - Parkplatz zu schlafen.

Mittwoch, 27.01.93
Früh verlassen wir das Tote Meer mit all seinen Soldaten und fahren das Jordantal aufwärts. Der Jordan entspringt im syrischen Antilibanon am 2814 Meter hohen Berg Hermon. Die Quelle liegt im Gebiet der von Israel besetzten, aber eigentlich syrischen Golanhöhen. Ihr Besitz bildete stets den Schlüssel für die Herrschaft über die Gebiete an den fruchtbaren Flußufern. 252 Kilometer fließt der Jordan durch den Grabenbruch des Jordantals, bevor er in das Tote Meer mündet. Zusammen bilden sie die tiefste Festlanddepression der Erde. Dieser breite Graben bildete schon immer eine strategisch wichtige Grenze zwischen den Kulturen. Im Altertum zwischen der mesopotamischen und der ägyptischen, heute zwischen Israel und Jordanien. Der Jordan ist Christen und Juden heilig - nicht wegen seiner bescheidenen Länge oder Breite, sondern wegen der Ereignisse an seinen Ufern. Es ist biblisches Land, geprägt von Eroberungen und Fluchten, vom Einzug ins Gelobte Land und dem damit verbundenen Schicksal der Völker bis in die heutige Zeit. Johannes der Täufer taufte Jesus bei Jericho und seit zwei Jahrtausenden steigen Christen aller Konfessionen aus aller Welt in den Fluß und lassen sich ebenfalls taufen. Wegen der umstrittenen Grenzlage geschieht dies heute am Oberlauf auf israelischem Staatsgebiet. Religions- und Tourismusministerium haben extra Taufplätze eingerichtet.
Der Jordan und seine Nebenflüsse Yarmuk und Zarqa sind für die Landwirtschaft Jordaniens von größter Bedeutung. Im Ghor-Kanal wird das Wasser der Nebenflüsse parallel zum Jordan auf die Felder geleitet. Auch für Israel ist das Wasser lebenswichtig. 75 Prozent seines Wasserbedarfes bezieht Israel aus dem See Genezareth auf seinem Staatsgebiet. Streitereien um Wasserrechte sind seit jeher an der Tagesordnung. Der Wasserpegel im Toten Meer sinkt permanent, weil fast das gesamte Jordanwasser vorher entnommen wird.
Obst und Gemüse beanspruchen die Hälfte der Ackerfläche, auf dem Rest wird Weizen angebaut. Das günstige Klima läßt zwei Ernten pro Jahr zu. Der Verlust der Westbank bedeutete für Jordanien, auf ein Drittel der wertvollen Anbaufläche verzichten zu müssen. Die Einfuhr von Nahrungsmitteln verschlingt jährlich über 500 Millionen US-Dollar. Nur etwa sieben Prozent der Jordanier arbeiten in der Landwirtschaft - dagegen über 40 Prozent in der öffentlichen Verwaltung.
Hinter Shouna biegen wir in die Berge ab. Nach einigen Kilometern sind wir von 200 Meter unter Normalnull auf Meereshöhe und nach unendlich vielen Kurven auf 1100 Meter Höhe. Unser Blick reicht über große Waldgebiete bis zum wolkenverhangenen Jordantal. Die Gegend ist bei Ausflüglern aus Amman sehr beliebt und entsprechend mit Picknickplätzen bestückt. In den Dörfern vor Ajlun fallen uns die vielen Kirchen auf. Der christliche Bevölkerungsanteil ist in Nordjordanien besonders hoch. Insgesamt sind etwa fünf Prozent der viereinhalb Millionen Jordanier Christen.
In Ajlun erhebt sich die 1185 erbaute Burg Qal'at ar-Rabadh. Im Gegensatz zu den meisten anderen Burgen des Nahen Osten ist sie nicht von fränkischen Kreuzrittern erbaut und später von den Muslimen übernommen worden. Ihr Bauherr war ein Verwandter Saladins, der die Anlage zum Schutz der Mekkapilger und zur Verteidigung gegen die Kreuzritter erbauen ließ. Sie war Glied einer Kette, die dem Sultan in Kairo binnen eines Tages mit Brieftauben und Rauchzeichen von den Vorkommnissen in Nordsyrien Nachrichten zu übermitteln vermochte. 1260 wurde die Burg von den Mongolen und 1837 von einem Erdbeben schwer beschädigt. Heute ist vieles wieder restauriert. Wir fragen den Nachtwächter, ob wir auf dem Parkplatz schlafen dürfen. Er ist sehr froh über etwas Abwechslung und lädt uns direkt zum Tee in seine kleine Wachstube ein. Wie ein Wasserfall erzählt er seine ganze Lebensgeschichte. Er ist Christ - wie angeblich über 50 Prozent in Ajlun - 65 Jahre alt und sein ganzer Stolz sind seine fünf Söhne, zwei Kühe und 20 Schafe. Seine Frau ist tot und er findet den Job als Nachtwächter anstrengend. Sehr viel mehr verstehen wir nicht. Aber er betont immer wieder, daß er dieses Leben liebt und an Gott, den einen Gott, glaubt.

Am nächsten Morgen fahren wir zum Grenzübergang bei Ramtha. Die Ausreiseformalitäten sind in einer halben Stunde geschafft - arabischer Rekord. Am längsten warten wir auf den Bearbeiter des Carnets. Da er nicht kommt, stempelt inzwischen jeder Reisende seine Zollpapiere selber ab, der hinter ihm Stehende unterschreibt. Wir trauen uns das nicht, aber dann ermuntern uns die Anderen schließlich doch dazu. Stempel drauf, irgend etwas Unleserliches als Unterschrift, einen Abschnitt in die Schreibtischschublade werfen und natürlich das Carnetheft "so sicher wie Bargeld" aufbewahren. Inzwischen wissen wir, daß dieses Dokument nur den deutschen Automobilclubs, aber keiner Zollbehörde heilig ist.


nächstes Kapitel    Glossar    zurück zur Startseite

Datenschutzerklärung